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POST AUS ISLAND#12

VON LYDIA MEYER · 12.09.2012

Post aus Island

ein beliebtes hobby am frühstückstisch ist seit jeher die packungs-analyse. morgen für morgen frage ich mich, wer die ganze scheiße eigentlich designt hat. schlecht ausgeschnittene haferkrümel fallen da wie ein dicker, unbeweglicher brocken starr und staubtrocken in eine schale, verkrüppelte, ockerfarbene orangen liegen auf der saftpackung herum, graue pixelmilch steht stumpf im glas. was alle eint sind blasse farben, grobe pixel, schlechte typo – hässlichkeit bis in die hinterste ecke der verpackung.

so geht das mit unzähligen nahrungsmitteln und bei jeder neuen entdeckung frage ich mich, auf wessen kappe das wohl gehen mag und ob da jemand vielleicht nicht geschmacksverirrt, sondern ganz lustig und progressiv unterwegs ist. auf die spitze getrieben wird all dieses fragwürdige design jedoch mit postkarten!

beim blick in die postkartenständer, die einem hier überall entgegen fliegen, drängen sich täglich tausend fragen auf. die postkartenproduktion muss doch eine recht lange produktionskette sein und es kann doch nicht sein, dass alle daran beteiligten verrückt sind.

wer macht die fotos, die später auf postkarten landen und wer kommt überhaupt auf die idee, dass die irgendwie auf postkarten passen würden? wer schlägt das vor, wer winkt das durch und wer entscheidet, welche postkarte am ende in den postkartenständern stehen darf? wer druckt das und wer kauft das, wer sortiert das ein und wer empfängt das? finden die das lustig? meinen die das ernst?

pferde vor kitschig quietschgrünen nordlichtern, flauschig-weiße robbenbabies, übertrieben blaue eisschollen in übertrieben glänzend-glattem wasser, walflossen, die in den photogeshopten, tiefblauen ozean abtauchen, ponies mit im wind wehenden ponies – kitsch. kann ich alles verstehen.

aber wer zur hölle verschickt verwackelte ganzkörper-fotos von älteren herren in angler-hosen und gummistiefeln – die kontraste so hochgedreht das sowohl angler als auch der fisch in seinen händen ganz rote gesichter haben? welcher buchladen entscheidet sich dazu, neben den tausend puffin-karten noch den dicken opa mit in ihre postkartenarmee aufzunehmen oder den lachs, der – photoshop sei dank – gerade so ganz entspannt den reißenden fluß hochspringt? 

ok. ich habe auch so eine gekauft. eine anglerkarte mit lila kopf und dickem fisch und schlechtem ausschnitt. in einer tankstelle. aber das können doch nicht alle so machen.

POST AUS ISLAND#11

VON LYDIA MEYER · 23.08.2012

Post aus Island

FOTO CREDIT: ALINA UGLA KALYANOVA

seit einer weile trägt die stadt ein kleid aus regenbogenfarben. bunte fähnchen, sonnenschirme, pappauftseller und flatterbänder finden sich in letzter zeit in fenstern und supermärkten, zeitungen, hausfassaden, botschaften und kneipen. der grund: es ist reykjavík gay pride. vom 07. bis 12. august wird reykjavík zu gaykjavík.

und das äußert sich nicht nur in all dem bunt vor grauem himmel, nicht nur darin, dass stewardessen und stewarts bei der airline iceland express plötzlich bunt gestreifte halstücher tragen und jemand den schaufensterpuppen kleine regenbogenfähnchen in die unterhosen gesteckt hat. es äußert sich vor allem in der allgemeinen stimmung. in der stadt schwebt – trotz verfrühtem herbsteinbruch – eine leichtigkeit und freude wie ich sie hier bisher nur ganz selten erlebt habe. cafés bieten regenbogen-kuchen an und kekse mit bunten smarties, in der kneipe gibt’s das bier für die hälfte und alle sind irgendwie ganz nett zueinander. so habe ich mir immer karneval im rheinland vorgestellt. der größte unterschied: das hier ist sexismenfrei.

am wochenende feiert die gay pride ihren höhepunkt, während ein wolkenbruch den anderen jagt. nicht so schlimm, wir haben ja den regenbogen. trotz grauem himmel und dauerregen ist die stadt vollgestopft mit menschen. mit regen(bogen)schirmen in- und hunden, kindern, freundinnen und freunden an der hand warten menschen am rande der strecke auf den umzug, der das ende und den höhepunkt des fünftägigen events bildet.

eine überschaubare, aber äußert gut aufgelegte parade zieht durch die ebnfalls überschaubare innenstadt. der lesbische motorrad-club folgt hier auf den spielmannszug, danach ein chor und ein ganzer wagen für diejenigen, die nicht an der gay pride teilnehmen können. auf ihm nichts außer einer leeren parkbank. darauf folgt eine trommelgruppe. eine meerjungtrans schießt konfetti durch eine kanone hinaus in die wolken. es regnet runter, bleibt in nassen haaren hängen, fällt in kaputzen und gesichter. reykjavík jubelt. kinder mit regenbogen-schminke im gesicht sitzen auf den schultern ihrer eltern und lachen, daneben schwingt die dreifache großmutter ihre gay flag während ihre tochter den kinderwagen schiebt. queer ist, wenn oma mit dem transmann tanzt und „gay pride“ ist hier ein familien-event, eine riesengroße party mit eis und konfetti und kunterbunter regenkleidung – sowas wie ein farbenfest.

das alles wirkt wenig angestrengt, wenig steif. innerhalb der fünf tage gibt es zwar politische panels, ernste diskussionsrunden, theoretische workshops, aber die parade steht ganz im zeichen von l.o.v.e. politik ist scheißegal, lasst uns spaß haben. alle machen mit!

was mich ein bisschen verwundert ist der „free-pussy-riot“-wagen. während all die anderen wägen vor fröhlich springenden menschen auseinanderbrechen, tanzt hier eine einzige person im pinken kleid auf der stelle, reißt ab und an die faust in die luft und hüpft. ein einziger (!!!) mensch. und das auf einem event wie der gay pride – traurig. dabei hatte die ganze pussy-riot-sache hier allein schon wegen björks statements und solidaritätbekundungen große wellen geschlagen.

und am ende des tages löst sich das rätsel dann auch auf. die tanzende person in pinkem kleid und häkelmaske war alles andere als ein trauriger einzelfall. es ist jón gnarr – reykjavíks bürgermeister. während londons bürgermeister am finalen olympia-wochenende durch sexistische witze in die schlagzeilen gelangt, macht der kopf von islands haupstadt am samstag also als pussy-riot-aktivistin von sich reden. gayor statt mayor. island, du machst mich fertig.

POST AUS ISLAND#10

VON LYDIA MEYER · 15.08.2012
Post aus Island

lieber späti-mann. i miss you. nicht nur dich, auch deinen laden. ich vermisse deine erlesene auswahl an bier-spezialitäten aller preisklassen und den ranzkäse, der im surrenden, fckw-verseuchten kühlregal direkt neben der völlig überteuerten h-milch steht – liebevoll beleuchtet von neonröhren, die das farbstoff-gelb des käses lieblich umschmeicheln. ich vermisse deinen pvc-boden, der so schlecht verlegt ist, dass man sich nur stolpernd in deinem kleinen raum fortbewegen kann und die tausend verschiedenen cola-sorten in einem der tausend verschiedenen getränke-kühlschränke. ich vermisse die tabaktüten hinter der theke und die chipstüten davor, ja, sogar das hundefutter irgendwo ganz unten im regal zwischen schokolade und erdnüssen fehlt mir. “wieso steht denn die schokolade neben dem hundefutter?” hab’ ich dich mal gefragt und deine antwort war brilliant – “damit man besser cocktails daraus machen kann!” sowieso waren deine antworten immer weise, dein humor stumpf, aber geil: “einmal rote gauloises, bitte!” – “ketchup, mayo, alles drauf?” 

mit besoffenen kannst du ebenso gut umgehen wie mit alten und kranken, mit kindern, druffies und verkorksten künstlergeistern. sogar die frage nach dem besten schokoriegel der welt wusstest du stets zu beantworten. “kommt drauf an, was du willst”. morgens betrunken hast du “kinder bueno” empfohlen, an verregneten nachmittagen “wunderbar”, freitags ein capri-eis zum feierabend und sonntagsmittags ein duplo zur mate. jetzt bin ich hier und alles ist teuer. späties gibt’s keine, bier erst recht nicht. und vor allem gibt es keinen süßen späti-mann, der einem versichert, dass doch noch alles normal ist mit einem und diesen merkwürdigen gelüsten, die einen manchmal halt so überkommen. am wochenende.

POST AUS ISLAND#9

VON LYDIA MEYER · 08.08.2012

Post aus Island

hallo liebe, kleine welt! willst du mich eigentlich verarschen? diese dinge sind innerhalb der letzten 2 wochen passiert und langsam fange ich an an jesus bzw. den kosmos bzw. irgendeine andere scheiße zu glauben. 

1. d. und ich sind auf der suche nach essen im osten islands. wir halten in einem sehr, sehr traurigen ort mit etwa 300 einwohnerinnen – vielleicht so 500 km von reykjavík entfernt – und debattieren in einem ranzigen tankstellensupermarkt über weiß- und/oder knäckebrot als mögliches abendessen. es befinden sich exakt fünf menschen im laden: die verkäuferin, d., ich, mein isländischlehrer aus berlin und sein freund. 

2. zufällig habe ich a. und p. mal wieder getroffen. wir sitzen an einem freitagabend im café, trinken bier und reden. gegenüber von uns zwei menschen mit deuter-rucksäcken. deuter-rucksäcke sind neben jack-wolfskin-jacken ja ein äußerst deutsches outdoor-accessoire. ich versuche häufiger die nationalität von offensichtlichen touris an ihren outfits auszumachen und bin an diesem tag wohl ausnahmsweise erfolgreich: irgendwann steht p., der neben mir sitzt, auf, und das mädchen von gegenüber kommt auf mich zu, setzt sich neben mich und fragt “bist du aus berlin?” – “ne.” – “woher denn?” – “ich hab’ in leipzig studiert.” – “also bist du nicht aus berlin?” – “ne. aber ich hab da mal gewohnt für eine weile.” – “aber du hast nicht diesen sprachkurs mitgemacht, oder?” – “äh. doch. ach, daher kenn’ ich dich!” 

3. trinke ein bier mit einer kanadierin und sie fragt, woher genau ich komme. als ich erzähle, dass ich in leipzig studiere, sagt sie, dass sie eine einzige deutsche freundin habe, die dort auch wohne. nicht so spektakulär eigentlich. das gespräch geht weiter und irgendwann reden wir über italien und dann über spanien und sie erzählt von ihrem letzten trip nach granada. als ich sage, dass an meiner fakultät fast alle mal irgendwann in granada studiert haben, meint sie “ja, da habe ich auch m. getroffen!” ich denke kurz nach, vorher hat sie irgendwas von entwicklungshilfe und fotografieren und nahem osten erzählt. “ist sie blond und groß und spricht gutes französisch?” – “ja, sie ist sehr oft in marseille.” – und ich springe auf, hau auf den tisch und schmeiß fast mein glas um. morgen geh’ ich in die kirche.

POST AUS ISLAND#8

VON LYDIA MEYER · 18.07.2012

Post aus Island

die amis hatten am 4. juli ihren großen tag. und island hatte den so zwei wochen früher. die feiern das beide sehr gern, hängen dann flaggen in ihre gärten und malen die gleichen flaggen ihren kindern ins gesicht und sich selbst auch. manche haben diese flaggen auch tätowiert. ist ja schließlich heimat. manche malen noch einen adler daneben, denn adler sind nämlich frei – genau wie ihre heimat. und dann stellen sie hüpfburgen auf und hören blaskapellen beim nationalhymnenspielen zu und dann grillen sie und essen käsehäppchen mit fähnchen dran und trinken nationalgetränke und feiern die unabhängigkeit des landes, in das sie hineingeboren wurden oder in das sie irgendwann mal gezogen sind. manche ziehen auch fancy klamotten an – in den nationalfarben versteht sich. und dann sind alle gut drauf und es gibt was zu feiern und es gibt nationalgerichte und sowieso – alles gut.

auf deutschem boden tut man ja immer eher so als würde man so etwas nie machen und dann kommt zu jeder em und wm ans licht, dass doch alle irgendwie verkappte nationalisten sind. dann gibt’s alles in nationalfarben, was zum überleben wichtig ist: bierdosen, pappbecher, staubwedel, gummibärchen, klobürsten, perücken, duschgel, strandkörbe, wassereis und taschentücher. nicht zu vergessen natürlich all die ganz normalen fahnen, die dann überall rumhängen. von häusern runter, auf balkonen, in kleingärten und altenheimen, an kinderwägen und fahrrädern und am liebsten an autos. ja, es gibt sogar deutschlandflaggen für seiten- und rückspiegel. beliebter sind aber die oben auf dem dach. mit denen verbraucht man zwar mehr benzin, aber das ist es uns ja wert.

und wegen all dieser dinge gibt es alle vier bzw. alle zwei jahre zu den bereits genannten beiden veranstaltungen eine riesendiskussion. da gibt’s dann die, die dagegen sind und die, die die fahnen abbrechen. und es gibt die, die sich aufregen, dass die die fahnen abbrechen und die, die sich aufregen, dass die anderen sich aufregen und die, die darüber in zeitungen irgendetwas schreiben. am ende des wettbewerbs oder meistens vorher brechen die besitzerinnen und besitzer dieser flaggen sie einfach selbst ab. die klobürsten und strandkörbe sind dann stark reduziert und die diskussion auch ziemlich schnell vergessen. 

die komprimierte version, in der der ganze patriotismus und nationalstolz, der sich über die jahre so angestaut hat, dann rauskommt, dauert aber dennoch meistens ein paar wochen inklusive vor- und nachbereitung der sportveranstaltung. und in all den anderen tollen, unabhängigen, westlichen staaten ist das eben wann anders im jahr. die, die keine brauchbare fußballmannschaft zusammenkriegen, brauchen ja auch einen grund. zum beispiel die befreiung von irgendwas oder irgendwem. 

und auf island feiert man das am 17. juni. aber eigentlich feiert man das ganze jahr über. beim busfahren, trampen, tanzen, arbeiten, und …äh… einkaufen werde ich ständig gefragt, wie mir island denn gefalle. und natürlich ist das eine rhetorische frage. dass es hier schön ist, wissen die schließlich selber und dass man’s hier gar nicht scheiße finden kann, wissen sie glaub ich auch. “is sauhässlich hier und diese ganzen gletscher und wasserfälle und dieser verkackte ozean gehen mir echt ganz schön auf den piss” würde ja niemand sagen. 

dennoch muss man sich scheinbar wieder und wieder absichern, dass man in das schönste, unabhägigste und einzigartigste fleckchen erde geboren wurde und darauf auch sehr, sehr stolz sein kann, weil’s ja dennoch alles gibt. sogar internet! und kunst, musik, literatur und videospiele. es gibt sogar erdbeeren aus den usa und äpfel aus belgien, original isländische gurken und tomaten und es gibt sogar ein paar isländische filme, isländischen schnaps und isländische dixie-klos. “und das schafft ihr alles mit so wenig leuten? ist ja toll!” dann lächeln sie meistens milde und selbstzufrieden und machen weiter, was sie vorher gemacht haben. 

was sind wir alle frei und ungebunden. hitler ist tot, em vorbei, amerika ist unabhängig und island ist sogar schön und unabhängig auf einmal. high five!

POST AUS ISLAND#7

VON LYDIA MEYER · 13.07.2012

Post aus Island

pferdekinder sind ja in der schule immer so ziemlich die uncoolsten der uncoolen gewesen. auf silverstar, moonlightshdow und donnerblitz sind sie an den wochenenden mit steifen hälsen durch irgendwelche staubigen hallen stolziert, haben glänzende riesenpferde in anhängern durch die gegend gefahren und ihnen zöpfe geflochten. in den frühstückspausen haben sie in ihren pferdejacken auf dem schulhof pferde-aufkleber getauscht, brote mit wurst in pferdeform aus pferdebrotboxen gegessen, pferde-quartett gespielt und sich dabei über pferde unterhalten. sie hatten jeden tag pferdepullies an. außer im sportunterricht – da trugen sie pferde-t-shirts – und natürlich hatten sie pferdeschwänze und die meisten auch pferdeschlüsselanhänger, pferdebuntstifte, pferderegenschirme, pferdezahnbürsten und pferdefahrräder. und manche, ja manche hatten sogar ein pferd. die meisten hatten aber keins. und die sind jeden tag in irgendeinen pferdestall gegangen um da pferdescheiße wegzumachen und pferdeärsche zu striegeln. das nennt sich dann pflegepferd.

ich habe das nie verstanden und fand pferde langweilig und dumm und viel zu groß und arrogant und überhaupt – überbewertet halt. und die pferdekinder haben mit ihrem dauernden gerede alles noch viel schlimmer gemacht. am schlimmsten fand ich es, wenn sie ihr dummes reiten sport nannten. hallo? das pferd macht den sport, nicht ihr. ihr sitzt doch nur dumm rum auf dem pferd und tretet es auch noch in den bauch und gebt blöde anweisungen, ihr trottel!

na, und irgendwie ging das mit diesen pferdemenschen und den negativen energien dann so weiter.

sprachkurs – berlin – isländisch – anfänger: wir sind so 16 leute im kurs und müssen uns natürlich anfangs vorstellen. und alle anwesenden – bis auf 3 oder 4 – lernen diese kackschwere sprache doch tatsächlich wegen der pferde. what? du fährst jede woche von pankow bis charlottenburg, setzt dich hin und paukst vokabeln, damit du mit pferden reden kannst? mit pferden? echt? meinst du das ernst? und du hast nicht mal ein eigenes pferd? hä? reitreise? eine woche? nächstes jahr? achso. verstehe. ja, kann ich nachvollziehen. nicht.

islandponies. wusste schon, dass das irgendwelche pferde sind, aber dass es so krasse ponyfreaks gibt, die eine sprache lernen – extra für ein pferd – das hätte ich nun wirklich nicht erwartet. und dann im flugzeug auf dem weg hier her – vor und neben und hinter mir – überall pferdemenschen mit pferdemagazinen. pferde pferde pferde pferde. überall und ständig. pfui.

aber jetzt ist was passiert. ich bin jetzt nämlich mal auf so ein pferd drauf gestiegen. vinur hieß es und das heißt freund. und er war wirklich mein freund für eine stunde, hat mich ein kleines stück getragen und ist ganz schnell gelaufen und wir sind im galopp den strand entlang und durch bäche und ich habe mich sehr dumm gefühlt mit diesem helm und diesem kater vom festival und diesem krampf im fuß. aber hey – wir waren reiten und es war echt schön und es war echt anstregend und jetzt sitz ich hier mit muskelkater und einer blase am finger und denke: pferdegang aus der 7c, ich nehme alles zurück, entschuldige mich für jede dumme bemerkung für jeden kleinen diss. ja, das ist ja doch sport. und nein, pferde sind gar nicht so kacke. können ja nichts dafür, dass man ihnen zöpfe flechtet.

POST AUS ISLAND#6

VON LYDIA MEYER · 05.07.2012

Post aus Island

das biertrinken ist in deutschland ja eine äußerst angesehene freizeitbeschäftigung. man trifft sich in kneipen und vor späties, kauft sich eine flasche bier und setzt sich irgendwohin. bürgersteige sind zum bierkonsum ebenso geeignet wie parks im sommer und dimmrige kneipen und cafés während der kälteren jahreszeit. da trifft man sich dann halt und spricht über sein leben oder so. manche menschen trinken auch auf konzerten oder parties oder in (vor)lesungen bier. manche trinken sogar im urlaub bier und manche werden machmal auch ganz schön betrunken von bier. aber meistens trifft man sich doch irgendwo auf ein paar biere zum austausch. voll sozial also, dieses bier.

während man bei uns meist eher aus kommunikativen gründen trinkt, scheint es hier auf island stets um totale zerstörung zu gehen. man trifft sich nicht auf zwei bier, sondern auf mindestens 20. und man geht erst in kneipen, wenn man nicht mehr stehen kann. so scheint es zumindest, denn biere werden hier meist im neunziggradwinkel gehalten und hiesige kneipen- und clubböden gleichen eher schwimmbädern als tanzflächen. 

und letztens – ich stehe in einer kloschlange – tippt mich ein mädchen an. ich dreh‘ mich um und was streckt sie mir entgegen? einen flachmann! mit rosa rosen drauf. da hab‘ ich gelacht und einen schluck genommen und am nächsten tag schlimme kopfschmerzen gehabt. und ich dachte immer, flachmänner wären was für seeräuber und opas und sowieso total out.

und manchmal – nachts, wenn ich nach hause gehe und denke selbst schon viel zu betrunken zu sein – dann schaue ich die straße hinunter und kratze mir den kopf. da wird gestolpert, gefallen, gefressen, gepinkelt, geknutscht und gekotzt. so sah in meiner fantasie immer ein rosenmontag im rheinland aus. alle vollkommen außer kontrolle auf dem weg in eine bessere, hirnlosere welt, in der sie dann wahrscheinlich doch niemals ankommen, weil ihnen ein dicker kater dazwischenfunkt.

heißt: insgesamt wird ganz schön viel gesoffen hier. und das obwohl alkohol so unglaublich teuer ist. und man muss planen, kalkulieren, kalender führen, denn schnaps, wein und bier gibt es nur in speziellen geschäften. „vínbúðin“ heißen diese läden, sie gehören dem staat und an der kasse packen menschen flaschen in braunes packpapier ein. fast kriminell habe ich mich gefühlt, als ich zum ersten mal eine flasche weißwein nach hause trug. ab sechs ist der laden zu, dann gibt’s nichts mehr. nur noch in teuren kneipen. keine späties, keine tankstellen, keine 24stundensupermärkte, die bier verkaufen. 

und dann trotzdem immer so betrunken, dass viele mit anfang zwanzig trockene alkoholiker sind? oder gerade deswegen? schließlich muss man bei den preisen sehr ökonomisch trinken. und die schweden, finnen und dänen sind ja auch meistens ganz gut dabei. es scheint fast als gäbe es irgendwo in europa eine geheime grenze. und wenn man nördlich dieser grenze geboren wird, dann trinkt man ganz viel und rastet ganz viel aus. klingt logisch? ne.

POST AUS ISLAND#5

VON LYDIA MEYER · 02.07.2012
Post aus Island

auf island sind die jahreszeiten bekanntlich eher durch das licht als durch temperaturen bestimmt. so sind es vielmehr „hell und dunkel“ als „warm und kalt“, die stimmung und rhythmus der hier lebenden beeinflussen. im winter sind die tage dunkel, im sommer die nächte hell. das heißt: jedes jahr im mai und november komplett umstellen. handtuch vor’s fenster, schlafmaske vor die augen und ohropax in die ohren. die vögel stimmen nämlich schon um 2 uhr morgens ihre lieder an. im winter dann andersherum. mit höhenlampe und whirpool.

rund um mittsommer dämmert es wochenlang höchstens mal für eine stunde. so gegen eins vielleicht. und obwohl wir uns gerade in der lichten jahreszeit befinden, brennen ständig irgendwo glühbirnen. auf dem klo, in der küche, im keller, im flur. dauernd ist überall licht an. ziemlich beliebt sind auch offene fenster bei aufgedrehten heizungen, kochen ohne deckel, beheizte bürgersteige, beleuchtete landstraßen im winter und das rumhängen in hot tubs und beheizten freibädern das gesamte jahr über. wärmer als 17 °c wird’s hier ja sowieso nicht.

„stoßlüften“, „zimmertür geschlossen halten“ und „heizkosten niedrig halten“ sind hier fremdworte. schießlich gibt’s hier so viel energie, dass man ohne weiteresheißes wasser in den nordatlantik pumpen kann. heizung und heißwasser in 90% der isländischen haushalte stammen aus geothermalen energiequellen. in reykjavík kommen 73% aus wasserkraft und 27% erdwärme. ja, richtig gerechnet. das bedeutet 100% erneuerbare energien in der hauptstadt. 

und zusätzlich nutzt man sie hier noch auf ziemlich schlaue art und weise. die warmwasserversorgung in reykjavík zum beispiel ist wahrscheinlich das beste beispiel für intelligente warmwassernutzung. wasser aus natürlichen kaltwasserquellen wird mit wasser aus heißen quellen erwärmt und durch rohre nach reykjavík gepumpt. diese rohre werden unter gehwegen und parkplätzen verlegt, die so automatisch für eisfreiheit im winter sorgen. klingt logisch. 

doch was bringt die ganze tolle energie, wenn sie nur im modellstaat island funktioniert? noch kann man erdwärme schließlich nicht exportieren und seit jahrzehnten prüfen ingenineurinnen und ingenieure jetzt schon die machbarkeit und effizienz eines bis zu 1900 km langen unterseekabels, mit dessen hilfe die saubere energie aufs festland transportiert werden könnte. immer noch ist’s ungeklärt. ach, könnte man doch nur die hälfte der europäischen und asiatischen bevölkerung nach island umsiedeln. 

p.s. in hveragerði, ein paar kilometer südöstlich von reykjavík, fließt wasser aus einer heißen quelle mit einem gletscherfluss zusammen. wo sie sich treffen, kann man das ganze jahr lang heiß baden. bei bis zu 40 °c wassertemperatur. verrückte welt!

POST AUS ISLAND#4

 
VON LYDIA MEYER · 21.06.2012

Post aus Island

ein weiterer mensch, der überall irgendwie mitzumischen scheint, ist ólafur arnalds. hier ist er als social-media-superbrain auf „howtoboostyourmusic“ – veranstaltungen vertreten, hängt nebenbei noch mit diversen künstlerinnen und künstlern in studios ab und scheint ständig unterwegs. hinzu kommen tausendundeine kooperation und dann sieht man ihn noch ständig in irgendwelchen kneipen. vielleicht habe ich ein verzerrtes weltbild, aber er macht doch einen sehr umtriebigen eindruck. 

als ich von seiner unglaublichen social-media-überpräsenz erfuhr, war ich zunächst überrascht. die tricks, die arnalds anwendet, um aufmerksamkeit zu erhaschen, sind jedoch wirklich sehr ausgefuchst. so hat er im frühjahr 2009 damit begonnen eine woche lang täglich einen song aufzunehmen, ihn sofort danach zum download freizugeben und das ganze dann über diese hochmodernen sozialen netzwerke ordentlich anzukündigen. 

das ganze nannte er damals „found songs“ und setzte noch einen drauf, indem er fans dazu aufforderte, von diesen sieben songs inspirierte kunstwerke bei flickrhochzuladen. im anschluss veröffentlichte er das ganze noch einmal in physisch auferased tapes records und so nahmen die dinge dann irgendwie ihren lauf. kaufen menschen wirklich noch platten, wenn es die stücke auch als gratis download gibt? hier scheint es funktioniert zu haben. 

und dann gibt es eben noch die retro stefsons, die dauernd irgendwo auflegen, spielen oder andersartig mitmischen im isländischen musikzirkus. so tritt stefson-kopf unnsteinn manuel stefánsson mal eben an einem sonntag in der harpa auf, dem hiesigen konzertgebäude, um dort ein isländisches kinderlied zum besten zu geben. in der winterrückblick-gala der musiksendung hljómskálinn, die normalerweise im national tv läuft.

einer der moderatoren ist sigtryggur baldursson und er ist so etwas wie der big boss hier beim imx. nebenbei macht er aber auch noch ständig bei irgendwelchen musik- und comedygeschichten im fernsehen und radio mit, unterhält dort seine eigenen sendungen und trommelt. er ist gründungsmitglied der sugarcubes und hat laut wikipedia (jaja, das zitieren von wikipedia soll ja langsam mal salonfähig gemacht werden) zusätzlich bei þeyrkuklbradley fish und reptile palace orchestramitgewirkt. diese liste könnte endlos weitergehen. aber dann würden die einen den anderen ja die show stehlen. undsoweiter.

es gibt hier einfach tausend gesichter, die man immer immer immer irgendwo wieder sieht. sie treten nicht einfach so auf, sondern vielmehr schleichen sie sich irgendwie durch. und so entdeckt man einzelne elemente (nicht nur) der eben genannten immer wieder überall, wo man sie vielleicht gar nicht erwarten mag. 

ist eben sehr klein hier. ja, klein. vielleicht ist das eine stufe auf dem weg zur antwort auf die etwas widersprüchliche frage, wieso die musik von hier so vielseitig wie einheitlich erscheint: es sind eben meistens die gleichen menschen beteiligt. durch verschiedene kombinationen ergeben sich allerdings auch immer vollkommen unterschiedliche ergebnisse. wie mit zahlen. jaja, da sind sie wieder, diese zahlen.

POST AUS ISLAND#3

 
VON LYDIA MEYER · 12.06.2012

Post aus Island

darauf aufmerksam, dass island in sachen kunst&musik ein wenig speziell ist, wurde ich nicht etwa wegen björk oder sigur ros, sondern als ich zufällig in ein konzert von borko und seabear stolperte. das war 2008. im legendären gleis22 in münster. es war eines dieser konzerte, für dass man eine gästelistenplatz geschenkt bekommt und eigentlich nicht so richtig weiß, ob man hingehen soll. irgendeine dieser indiebands eben. weil nichts anderes auf dem plan steht, geht man trotzdem. selten sind abende wie diese inspirierend, sondern sie enden meistens betrunken an der bar. mit einem aufdringlichen kater am nächsten morgen und dicken lettern auf der stirn: r.e.u.e. 

nicht so an diesem abend. bin zu spät und bekomme lediglich den letzten song von borko mit. doch als seabear starten, erfüllt mich freude. was mich begeistert, ist nicht nur der folkpop, mit dem die gruppe ihr publikum im sturm entwaffnet, sondern auch die kauzige kombination von menschen dort auf der kleinen bühne, die fast zu platzen droht ob all der bunt gekleideten gestalten, die auf den ersten blick kaum zusammenzupassen scheinen. melancholie trifft ironie trifft kauzigkeit trifft farbe trifft sanfte folkpop-melodien trifft – und darum geht es in diesem eintrag – ein großartiges artwork und merchandise. 

und genauso schnell wie die begeisterung kommt auch die gewissheit, dass das alles irgendwie zusammenhängt. so finden sich parallelen&verschlingungen – immer wieder und immer öfter, je tiefer man eintaucht in all den musikalischen output von hier. und die daran beteiligten haben nicht immer nur mit musik zu tun. 

diejenige der immer wiederkehrenden künstlerinnen, die mir zuallererst auffällt, istinga birgisdóttir. wer sich an das 2007 erschienene múm-album „go go smear the poison ivy“ erinnert, hat vielleicht auch noch das detailverliebte booklet dazu im kopf. collagen aus pappresten, bleistift-skizzen und malereien gab es dort und das cover konnte man selbst mit variierenden bildern gestalten. damals fand ich das spitze. meine erste isländische cd. als ich auf das seabear-konzert stolpere, fühle ich mich vor allem im artwork daran erinnert. kein wunder – kommt schließlich alles aus dem gleichen kopf.

einmal gemerkt, fand sich der stil inga birgisdóttirs ständig irgendwo wieder: das seabear-artwork stammt ebenso aus ihrer feder wie der sagenumwobene strick-bart sowie einige videos von sin fang, dem soloprojekt von seabear-mastermind sindri már sigfússon.

so war sie auch teil des famosen videoprojekts, das sigur rós zu ihrer neuen platte, ins leben gerufen haben. das ist statisch und dynamisch zugleich, vor allem aber ganz zart und irgendwie … isländisch. was das heißt, weiß ich allerdings immer noch nicht. #nächstesmal.